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5. WENN ZIELE KEIN BEDÜRFNIS SIND

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Einige Lehren aus der Praxis gruppendynamischer Organisationsberatung.

5. WENN ZIELE KEIN BEDÜRFNIS SIND

Wer immer zielstrebig mehr erreichen will, bringt sich womöglich um das, was sich von selbst einstellt. Es geht mir selbst deshalb meistens nicht um Ziele, sondern um Bedürfnisse. Ich kenne kein Bedürfnis nach Zielen. Es gibt für mich den Wunsch nach verbesserter Bedürfnisbefriedigung, nach der Fähigkeit dazu. Wer hat, dem wird gegeben. Wer immer strebend sich bemüht und „noch nicht“ hat, dem wird genommen: Ruhe, Zeit, Mut, Glück.

Es gibt die breit verbürgte Erfahrung, dass ein Ziel Menschen Kraft schenkt (z. B. im Sport) und sie sogar am Leben hält (vgl. Victor Frankl). Aber das bewirkt nicht das Ziel. Das bewirkt sein Sinn, den es für die Person hat. Es muss uns etwas angehen. Es muss uns ein Bedürfnis sein. Und das kann man nicht anstreben.

Wenn Aufträge in der Organisationsentwicklung nicht direkt von der Geschäftsleitung kommen, schicken die manchmal die Kommunikationsabteilung vor. Eine Schwierigkeit in der Organisation („Konflikte“, „Widerstand“...) wird als Marketingproblem verstanden. Und da ist, bei aller Hilflosigkeit, was dran. Die Leitung ahnt, dass die Mitarbeitenden andere Bedürfnisse haben müssten, um mit den Zielen der Leitung einverstanden zu sein. Und wer kennt sich mit dem Einpflanzen von Bedürfnissen aus? Marketing.

Tatsächlich sind solche Versuche, die Bedürfnisse der Belegschaft zielgerecht zuzurichten, zum Scheitern verurteilt. Der goldene Weg, die Valenzen der Menschen zu beeinflussen (neben Geld, Status und anderen notorisch knappen Bestechungsmitteln), besteht darin, sie in Gruppen ihre Arbeitswelt erkunden zu lassen. Sie müssen selbst miteinander etwas finden, was sinnvoll genug ist, es in aller Ambivalenz erstrebenswert zu finden. So erarbeiten sie sich einen realistischen Umgang mit Bedürfnissen, die in der Arbeit befriedigt werden können. Und lernen kennen, was vielleicht nicht zu den Ansprüchen der Organisation passt. Dieser Weg ist eher langwierig, nicht frustrationsfrei, relativ unwägbar und nicht sehr zielstrebig. Aber er nimmt die Menschen, und was ihnen wichtig ist, ernst. Er verändert, wenn es glückt, das Normengefüge in der Organisation. Das geht nicht ohne gemeinsame neue soziale Erfahrungen. Ein sinnvolles Ziel ist diese funktionale Form der Kooperation.

Hilfreich ist, die FORM der Kommunikation beschreiben zu können, die den Aufgaben der Organisation entspricht (systemischer Realkonstruktivismus, https://lnkd.in/dXiEK3R7), und sich mit den Menschen Schritt für Schritt auf den Weg der Veränderung zu machen. Diese Prozesse begleiten Gruppendynamiker*innen mit der nötigen Klarheit und Einfühlung.

Beides kann man übrigens lernen:
www.dggo.de
https://lnkd.in/dFwXAks7
https://lnkd.in/dKsSqVmc

4. MACHT IN GRUPPEN IST IM FLUSS.

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Einige Lehren aus der Praxis gruppendynamischer Organisationsberatung.

4. MACHT IN GRUPPEN IST IM FLUSS.
Wie Fische im Wasser, so schwimmen wir in Gruppen in der Macht: Sie fällt uns meist kaum auf, aber wir spüren sie spätestens dann, wenn wir gegen den Strom schwimmen wollen. Gruppen sind eher fähig, etwas zu erreichen, wenn die richtigen Gruppenmitglieder im richtigen Moment Macht zugebilligt bekommen.

Es gibt drei Hauptgründe, weshalb Gruppen nie ganz aufhören können, Macht neu zu verteilen.
1) Die Umstände oder Aufgaben ändern sich und es wird notwendig, sich anders zu verhalten.
2) Neuankömmlinge kennen die Gepflogenheiten noch nicht, bringen aber eigene, abweichende Erfahrungen und Konventionen mit.
3) Gruppenmitglieder, die schon länger dabei sind überraschen irgendwann mit unkonventionellen Ideen. Dazu müssen sich die Anderen dann verhalten.

Die Not, die Neuen und die Erfindungskraft der Menschen locken den Fluss der Macht über die Ufer. Jedes Mal, wenn Menschen ihre Verhaltens-Erwartungen aufeinander abstimmen, befestigen Sie ein Stück vom Ufer. Jedes Mal wenn sie diese abgestimmten Erwartungen ändern, ändert sich der Flusslauf ein wenig.

Das Flussbett: Norm und Konvention
In Deutschland isst man mit Teller und Besteck. Das ist allgemein so, trotzdem gilt diese Konvention für bestimmte Menschen in bestimmten Situationen. Im Hochgebirge werden Bergsteiger ihre Brotzeit weniger förmlich vespern. Damit die Konvention gilt, muss ich wissen, auf welche Personenkategorien und welche Situationstypen sich das erwartete Verhalten bezieht (vgl. Heinrich Popitz). Abweichungen und Fehler bei solchen Konventionen werden von der Gruppenöffentlichkeit in der Regel milde beurteilt.

Es gibt Situationen, in denen eine Abweichung von dieser Konvention zu harscheren Reaktionen führt. Wer bei einem Staatsbankett mit den Fingern isst, wird des Saales verwiesen. Diesmal gilt die Konvention „Du sollst mit Messer und Gabel essen“ als Norm und wird mit Sanktionen geschützt.

Konventionen entspannen das Zusammenleben. Sie befreien von der Last, ständig zu entscheiden, „was soll ich tun?“. Normen bleiben dagegen immer ein spannendes Thema, weil sie Grenzfälle des Verhaltens mit Sanktionen ausschliessen.

Konventionen und Normen nehmen Menschen Macht ab, schützen sie aber auch vor Willkür. Indem Normen verbindlich sind, schaffen sie zwischenmenschliche Bindungen. Sie geben dem Fluss der Macht Raum zum Fliessen und schliessen alle anderen Räume aus. Zusammen mit sozialen Rollen sind Normen ein Baumaterial, das erstaunlich komplexen Flussläufen in Gesellschaft und Organisationen eine Form geben kann.

Wer Organisationen transformieren will, muss verstehen, wie Gruppen den Flusslauf der Macht sukzessive ändern. Wo entstehen vielleicht Überflutungsflächen, Nebenläufe, Deiche? Was trauen wir dem Fluss zu? Und wann bekommen wir Angst und rufen nach Strategie und Baggern?

Mut lässt sich trainieren:
https://lnkd.in/dZuNM_eV

3. WIR GEHEN SCHRITT FÜR SCHRITT VOR

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Einige Lehren aus der Praxis gruppendynamischer Organisationsberatung.

3. WIR GEHEN SCHRITT FÜR SCHRITT VOR
Wenn wir Gruppendynamiker*innen ein Unternehmen kennengelernt und es von zwei Voraussetzungen überzeugt haben (wir arbeiten nie allein, wir fördern die Selbst-Diagnose, Links dazu im Kommentar), dann kann es losgehen. Schön sorgfältig und langsam.

Ich unterscheide drei Aspekte in der Gestaltung meiner Kundenbeziehungen: Verstehen, Beraten und Befähigen. Je intensiver und akribischer wir uns mit den Gruppen, mit denen wir arbeiten, beim Verstehen aufhalten, desto leichter fallen beraten und befähigen. Sehr oft werden wir dafür dann schon nicht mehr viel gebraucht, weil die Sache klar ist. Es ist klar, was zu tun ist und wer dafür noch was lernen, trainieren sollte.

Ein erster Schritt könnte zum Beispiel sein, mit einer Gruppe in der Organisation etwas Neues zu versuchen, von der typische Widerstände zu erwarten sind. Widerstände: weil es da etwas zu erfahren gibt über die Organisation. Typisch: weil wir so der Kultur auf die Spur kommen, die das soziale System reproduziert. Oft sind flankierende Interventionen zu wichtigen Rahmenbedingungen hilfreich. Was auch immer. Den Change wird eins machen: dass sich die Gruppen, auf die es ankommt - machtvolle, identifizierte Gruppen - selbst auf die Spur kommen. Wer sich selbst erkannt hat, hat sich schon verändert. Es gibt kein Zurück hinter Selbsterkenntnis.

D. H. unsere „Strategie“ zielt auf kein letztes Ziel, eher auf eine Schrittfolge, einen Tanz (realkonstruktivistisch:ein rhythmisiertes Muster, Gitta Peyn). Unsere Frage ist weniger, über welche Milestones kommen wir mit den Gruppen zur Vision? Unsere Frage ist, müssen wir hier und jetzt mal von Walzer zu Samba wechseln, damit sich z. B. etwas lockert oder setzt? Dafür braucht es aktuelle diagnostische Einsichten. Natürlich auch Zahlen Daten Fakten, aber vor allem Kulturelles. Alles Andere erklären BWL, IT, Steuerberatung und Jurist*innen. Es ist eine Kulturfrage, wie eine Organisation die „harten“ Fakten nutzt.

So tänzeln wir weiter im System: einen Schritt wagen, schauen, wo wir stehen, den nächsten wagen. Größere Sicherheit ist mE in OE nicht zu erwarten. Alles hängt an der Präzision der Diagnosen, die den ganzen Prozess begleiten.

Ich würde zunächst davon ausgehen, dass die Leitung grob eine Idee hat, wo sie hinwill. Ich kenne mittelständische Unternehmen, die sagen zB, wir müssen soundso viel wachsen, sonst werden wir geschluckt. Das wollen sie jetzt nicht. Meistens reicht es schon, zu wissen, von wo man weg oder wo man sicher nicht hin will. Strategien braucht es im Krieg. Aber der Markt ist kein Schlachtfeld, Führungskräfte sind keine Feldwebel. Ihr „Sieg“ sind gute Produkte, die die Menschen wirklich brauchen können. Würde mir persönlich jedenfalls reichen. Höhere Ziele hab ich nur in den Bergen. ;-)

FORCIERTE „MÄNNLICHKEIT“

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FORCIERTE „MÄNNLICHKEIT“ ALS VERHALTENSKITSCH

Kitschig finde ich Darstellungen, die ein e i n z i g e s Gefühl zu Tode reiten. Zum Beispiel das Gefühl des Erhabenen beim Betrachten eines Sonnenuntergangs. Als Fototapete klebt das Gefühl an der Wand, bis man die doofe Zumutung irgendwann einfach übersieht oder ironisiert. Das hilft nicht immer.

„Im Jahr 2022 starben in Deutschland insgesamt 10119 Menschen durch Suizid – das waren fast 28 Personen pro Tag. Männer nahmen sich deutlich häufiger das Leben als Frauen, rund 75 % der Selbsttötungen wurden von Männern begangen.“ (Destasis: https://lnkd.in/dmK4fphg)

Männer schweigen aus Stolz, wenn sie um Hilfe bitten sollten. Stolz zu sein darauf, alles ertragen zu können, niemanden zu brauchen: hält dieses Gefühl Jahre an, kann Kitsch töten.
Natürlich ist es komplizierter. Auch deprimierte „echte Kerle“ fühlen nicht ständig nur Stolz. Aber besonders viele Gefühle werden Männern gesellschaftlich nicht nahegelegt: vor allem Wut, Geilheit und eben Stolz. Den zugehörigen Kitsch kennen wir von Pegida-Demos, Porno-Industrie und allen Arten an Männerbünden.

„A man's gotta do what a man's gotta do.“ Täglich raubt irgendsoein tautologischer Grabspruch 21 Männern in D den Lebensmut. Der männliche Verhaltenskitsch übertüncht rigide Normen. Er ist das schlichte Gemüt im sozialen Gehäuse unserer Verhaltenserwartungen. Stolz & Ehre. Würden mehr Männer diese Kitschtapeten von der Wand reissen, könnten wir das soziale Gehäuse studieren, in dem ihr Verhalten für die Front zugerichtet wird. Und es gemeinsam peu à peu ein bisschen menschlicher umbauen. Mindestens mit Farbtöpfen und Pinseln für den Ausdruck bunt wechselnder Gefühlslagen und einer Tür für tragende Beziehungen. Ein Bankerl vorm Fenster für den Polit-Streit mit der Nachbarschaft wäre als Norm auch sehr gut und friedlich.

Ich weiß nicht, warum Männer depressiv werden, auch da mag „toxische Männlichkeit“ einwirken. Aber ich weiß, manche lehnen Hilfe habituell ab, um ihr Selbstbild als Mann zu schützen. Sie brauchen Menschen, die ihnen eine Brücke zur Hilfe bauen. Nicht nur der Männer wegen sollten möglichst viele einen Erste-Hilfe-Kurs für seelische Gesundheit besuchen. Die gibt es hier: https://lnkd.in/dJnHkAFw

Kitschfrei differenziertes Denken und Fühlen bereichern Arbeit, Gesellschaft und Persönlichkeit. Wie groß Dein Resonanzraum ist, findest Du bei Gitta Peyn heraus. Wie kannst Du Komplexität erkunden? Probier´s aus: https://lnkd.in/dESqHVxk

Ich empfehle heute mal drei Wege, um toxischen Verhaltenskitsch abzulegen:
- Fühlen und sagen, was gerade ist
- Sich helfen lassen und helfen
- Seiner Neugier auf Komplexität folgen.
Lernen von den Besten: Kinder können das alles noch. Ältere lernen es wieder im gruppendynamischen Training: https://dggo.de

2. SELBST-DIAGNOSE

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Einige Lehren aus der Praxis gruppendynamischer Organisationsberatung.

2. SELBST-DIAGNOSE
Wer eine Organisation kennenlernt, lernt Gruppen in der Organisation kennen. Wenn es gut geht, lernen dabei diese Gruppen ihre Organisation ebenfalls neu kennen. Das ist ein analytischer oder diagnostischer Prozess. Ich bevorzuge den Ausdruck „Diagnose“, weil mir „Analyse“ zu steril klingt für das, was dabei vor sich geht. Um eine Organisation kennenzulernen, braucht es Kontakt. Ich muss auf Tuchfühlung gehen mit der Kultur, den Gewohnheiten, Normen und Tabus. Ich will sie im Vollkontakt erleben, mit beiden Beinen rein in das Humansystem, statt Analyse von KPIs und Excel-Files. Systemiker*innen, die sich bei dieser Perspektive schütteln, weil sie lieber am Spielfeldrand der Kommunikationssysteme ausharren und aus sicherem Abstand einen Blick hinein erhaschen möchten, bitte ich, noch etwas weiterzulesen. Gleich wird die Sache klarer.
Ich kann mir mit meinem Staff (ohne den geht es nicht: https://lnkd.in/d_9b3KFR) ein luzides Bild machen und eine unbestechliche Diagnose stellen. Es wird nicht viel helfen. Rückmeldungen von außen verarbeitet ein Humansystem so, wie es das eben gelernt hat, also reproduktiv, stabilisierend. Wenn ich will, dass ein paar Schrauben in der Kommunikation locker werden und etwas neu justiert werden kann, muss ich diese Muster stören. Und das geht am besten, wenn das Humansystem sich selbst verstört. Dafür sind wir Organisationsberater*innen da: Gemeinsam mit relevanten Gruppen Formate ins System einzuführen, die es diesen Gruppen erlauben, ihre Gewissheiten und Gewohnheiten zu erkennen, zu hinterfragen und testweise zu modifizieren. Diagnose ist Selbst-Diagnose des Humansystems. An dieser Stelle ist jeder Change auf die Menschen und ihre Beziehungen angewiesen. Und das heisst auf die Gruppen, an deren Kultur sie ihr Verhalten orientieren.

Psychologisieren in der OE-Diagnostik?
Wer Organisationen berät und die im Human-System diagnostizierten Phänomene schnurstracks von den Nöten mancher Individuen herleitet, muss sich von mir fragen lassen: hast Du abgeklärt, dass sich das vielleicht Irre, Seltsame an der Situation nicht überindividuell als Wirkung der Gruppen- und Organisationsdynamik plausibel machen lässt? Hast Du das Kommunikationssystem verstanden? (Vgl. Gitta Peyn, systemischer Realkonstruktivismus https://lnkd.in/dFwXAks7) Hat man das nicht zuerst ausgeschlossen, verfährt man so leichtfertig wie ein Psychotherapeut, der körperliche Symptome eines Patienten nicht somatisch abklären lässt. Das setzt natürlich voraus, dass man befähigt ist, überindividuelle Dynamiken zu erfassen.

1. WIR ARBEITEN NIE ALLEIN

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Einige Lehren aus der Praxis gruppendynamischer Organisationsberatung.

1. WIR ARBEITEN NIE ALLEIN
Organisationsdynamik nimmt dich mit. Der Kontakt mit der Organisationsdynamik ist deine diagnostische Chance als Berater*in und eine Verführung zur Unwirksamkeit, wenn dich das System „frisst“. Es ist nicht möglich, eine Organisation oder auch nur ihre Leitung zu beraten, ohne sich in die Kommunikationsformen (deren Logik lernt man empfehlenswerter Weise bei Gitta Peyn) und Beziehungsdynamiken der Organisationsteile wenigstens ansatzweise zu verstricken, mit denen man zu tun kriegt. In der Regel beginnt das schon in der Anbahnung und der Kontraktphase. Sobald das System zu ahnen beginnt, dass eine Veränderung geplant ist, bist du als beratender Mensch emotional und kommunikativ hoch ambivalent angedockt. Und zwar an etwas, das um ein Vielfaches größer, träger, mächtiger ist als Du. An etwas, das sich so klar überblicken lässt wie ein Containerschiff von einem Schlauchboot aus. Allein gewinnst du da nicht den erforderlichen Abstand zum Geschehen. Es braucht einen Berater*innen-Staff, eine Steuergruppe mit der Leitung und eine Intervision für den Staff. Wer sich für eine Organisationsberatung nicht von Anfang an möglichst viel Sicherheit durch gemeinsame Resonanz- und Reflexionsräume mit Anderen verschafft, ist entweder naiv oder größenwahnsinnig.

Empfehlungen:
- Im Staff sollten unterschiedliche Verfahren (Systemik, Realkonstruktivismus, Gruppendynamik, Gestalt, Psychoanalyse etc.) vertreten sein, um eine möglichst breite Hypothesen-Basis zu schaffen.
- Ein divers gemischter Staff ist ein besserer Staff. Frauen und Männer blicken unterschiedlich auf Situationen. Menschen mit Migrationshintergründen, Neurodiverse z. B. wieder anders…
- Im Staff sollten die thematischen Grenzen breit sein. Was im Staff nicht besprechbar ist, kann mit dem Klientensystem nicht reflektiert und gestaltet werden. Das erfordert Vertrauen in der Gruppe der Berater*innen. Sie müssen einander kennen(lernen).
- der Staff sollte auf Spiegelphänomene gefasst sein. Wenn der Staff beginnt, selbst die Organisationskultur der beratenen Gruppen zu leben, wird es erst richtig interessant. Das kann sich beispielsweise an deren Leistungsdruck, Verzweiflung, Minderwertigkeitsgefühl, Konkurrenz, deren unverbindlichem Umgang mit Verabredungen etc. zeigen. Dann kann das Berater*innen-System fühlen, denken und handeln wie die Klient*innen. Vorübergehend deren Konflikte agieren. Mehr oder weniger leidenschaftlich ihre Ängste und Hoffnungen teilen. Und sich durch gemeinsame Reflexion wieder davon lösen. Und neue Hypothesen gewinnen… So wird das was!👌

Gruppendynamiker*innen sagen, Systeme beraten Systeme. Deshalb arbeiten gruppendynamische Organisationsberater*innen nie allein (okay: seltenst und sehr sehr ungern…) und im Klientensystem fast nur mit Gruppen.


Systemischer Realkonstruktivismus 2/2

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Die neu zu entdeckende Kunst der Kybernetik: Systemischer Realkonstruktivismus 2/2

Wir Gruppendynamiker sind es gewohnt, mit leicht operationalisierbaren mehrdimensionalen Modellen im Kopf, unser Herz zu befragen: was ist in dieser Gruppe los? Da nutzen wir den gruppendynamischen Raum, die Autoritätsmuster, das Pendelmodell von Integration und Differenzierung - und bald vielleicht auch die Ur-Formen der Kommunikation von Gitta und Ralf Peyn.
Reflexive Systeme sind unser täglich Brot, wenn man so will. Dass Selbststeuerung in Gruppen und Teams auch formlogisch voraussetzungsvoll ist, kann man vom systemischen Realkonstruktivismus lernen. Die Peyns ordnen ihre 64 Reinformen der Systembildung in der Kommunikation 3 Stufen der Musterbildung zu:
Monotone Formen kommen mit schwacher Komplexität aus, hier schlägt beispielsweise der „Sgt. Drillmaster“ die Trommel und die Arbeitenden gehorchen.
In rhythmisierten Systemen geht es unübersichtlicher zu. Hier sind Konflikte zu erwarten und höhere Anteile an Kreativität, die unter Umständen helfen, die Konflikte zu beruhigen.
In co-kreativen Systemen ist es lebendig. Hier ist den Alters und Egos die Kompetenz der Anderen bekannt. Nur die co-kreativen Varianten der systemischen Formlogik (es sind sechs) sind dazu in der Lage, das System im System zu thematisieren.
In die Klasse der sich monoton aufbauenden Kommunikationssysteme gehören zum Beispiel unsere abhängigen Gruppen. „Rhythmisiert“ sind unter anderen gegenabhängige Gruppen, die zur Bildung von Silos/Untergruppen neigen. Und die tapferen co-kreativen sind natürlich hoch differenzierte, gut integrierte interdependente Gruppen, die sich selbst durch Reflexion zu steuern gelernt haben.
Besonders schön an den „Selfis“ genannten Pixelbildern der Formen ist der Farbcode: man kann genau erfassen, wie umfänglich markierte, leere, unbestimmte und (ja!) imaginäre Positionen vertreten sind. Ralf Peyn ist es geglückt, Unbestimmtes und Imaginäres im Kalkül operationalisierbar zu machen. Man sieht auf einen Blick, wieviel indeterminiertes Potential, wieviel Freiheit ein System prozessieren kann. Auch das ist einfach großartig.
Und dann wäre da noch Gittas Stufenmodell der Komplexitäts-Fähigkeiten psychischer und sozialer Systeme. Das sollten alle, die mit Gruppen arbeiten für ihre Interventionsentscheidungen zu nutzen wissen. Weil es nichts bringt, angemessen schlau zu intervenieren, wenn das die Kapazität des Systems überfordert. Haben wir doch alle schon erlebt.
Am Ende der zwei Tage war ich geistig wieder zuhause angekommen. Ein gutes Zeichen für die Anschlussfähigkeit des systemischen Realkonstruktivismus. War viel. Ich muss das jetzt erst noch alles verarbeiten. Aber die Aussicht, in der Gruppendynamik vielleicht naturwissenschaftlich belastbare Aussagen treffen zu können, hätte Kurt Lewin sowas von gefallen. Und mir gefällt sie auch. Vielen Dank für die tausend Anregungen, liebe Gitta und lieber Ralf!

Systemischer Realkonstruktivismus 1/2

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Die neu zu entdeckende Kunst der Kybernetik: Systemischer Realkonstruktivismus 1/2

Auf dem Heimweg von zwei Tagen Intensiv-Kurs mit Gitta und Ralf Peyn, den sympathischen Erfindern des Systemischen Realkonstruktivismus. Ein paar frische Eindrücke. Was heisst Real-Konstruktivismus? Ich verstehe die Theorie inzwischen besser und Sie bestimmt auch gleich ein bisschen. Ein Appetizer. Mehr nicht.
Ich gehe im ersten Teil darauf ein, was beratende Menschen davon haben, sich mit der Peynschen Theorie zu befassen. Im zweiten Teil blicke ich kurz als Gruppendynamiker auf diese unique Denkwelt.
Die Peyns heben von einem Boden breit akzeptierter Standards aus ab. Kommunikation verstehen sie als System, das sich aus seiner Umwelt bestimmte Ereignisse herausgreift um sie für Kommunikationsaufbau zwischen Menschen zu nutzen. Die Ereignisse: Meinen, Mitteilen und Verstehen. So weit so Luhmann. (Bei dem heißt das Meinen noch Information). Im Prinzip ist das ein Standard in der Sprachwissenschaft seit Karl Bühler. Wo Menschen miteinander sprachlich in Kontakt gehen, erfolgt das dreidimensional: Ich (Ausdruck oder Mitteilung) will (Appell oder erwartetes Verstehen) etwas (Dargestelltes oder Gemeintes).
Die Peyns verlassen die Luhmannsche Orthodoxie und vertrauen sich der Kybernetik an, wenn sie inspiriert durch George Spencer-Brown mathematisch berechnen, wie ein Kommunikationssystem sich an den Umweltereignissen, die Alter und Ego beisteuern, nach eigenen Entscheidungs-Regeln in eigenen Formen aufbaut.
Hier liegt die Pointe: es mag eine empirisch unendliche Vielfalt in den Kommunikationssystemen geben. Sie alle lassen sich allerdings auf exakt 64 mathematisch berechenbare „Formtypen“ beziehen, die die möglichen Ego-Alter-Beziehungen von Meinen, Mitteilen und Verstehen umfassen. Wenn das Cassirer noch hätte erleben dürfen, dass ein Ralf Peyn sprachlich codierte Systeme mathematisch erfasst und berechenbar macht! Großes Kino für Kenner des Idealismus (das hört Gitta als Positivistin jetzt nicht so gern, es stimmt aber ;-)
Jetzt wird es praktisch: die Idealtypen können Beratende mit etwas Übung perfekt nutzen, um Teams, Abteilungen, Organisationen oder auch ihre Partnerschaft zu diagnostizieren. Das geht ganz intuitiv, weil die Peyns zu den Grundformen der Kommunikation durch ein bildgebendes Verfahren Pixelbilder erzeugen, die den Kommunikationsprozess im zeitlichen Verlauf zeigen: die App malt die gewünschte Formlogik vierfarbig auf den Bildschirm. Sehen, interpretieren, staunen. Ja, das macht Spaß, weil es das persönlich erlebte Kommunikationsgeschehen bis zur Kenntlichkeit hinreichend verfremdet.
Formlogik ist nichts für Systemiker, die ruckzuck was aus der Toolbox zücken wollen. Es ist was für die Gründlichen, die Muße, Neugier und allerhand Denkvermögen mitbringen.
Warum diese faszinierende Theorie noch so wenig nachgefragt wird, wissen die Götter (vermutlich die an den Unis, keine Ahnung)…

GRUPPE SYSTEMISCH – GRUPPENDYNAMISCH 2/2

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Die vergesellschaftende Funktionsweise von Gruppen, die Gruppendynamik Kurt Lewins, wird von formaleren, „rationaleren“ Organisationen überformt, geht darin aber nie ganz verloren. Alle Menschen richten sich in ihren Entscheidungen, ihrem Verhalten weiterhin auch nach Gruppen. Deshalb versteht ein Beobachter Organisationen nur teilweise, der dort nach Gruppen als abgegrenztem Phänomenbereich sucht (im Sinne von Cliquen, Seilschaften, Freundschaften…). Er braucht aus Lewins Sicht nur nach der Funktionsweise der Gruppe in Teams, Boards, Steuergruppen, Projektgruppen, Referaten, Abteilungen, LinkedIn-Seilschaften etc. zu suchen und wird jedes Mal fündig.

Diese Gruppendynamik hält Kühl wie viele Systemiker für organisationsfremd und vernachlässigbar. Er glaubt, ein Mensch wird Mitglied einer Organisation per Vertrag und Leistungsversprechen, ohne sich in Gruppendynamik bewähren zu müssen. Das ist vielleicht ansatzweise bei Uniprofessoren so (wobei die wohl zumindest ein Kollegium haben). Überall sonst betritt ein neues Mitglied auch mindestens ein alltagssprachlich Gruppe genanntes Interaktionssystem in der Organisation. Ich halte (Inter-)Gruppendynamik für den Humus der Organisation, vielleicht anrüchig, störend aber auch nährend, tragend. Eine wenig rationale, stark emotionale Beziehungsbasis, auf die sich rationalere, formalere Formen der Vergesellschaftung stützen und von der sie sich (zum Glück) kritisch abheben. Ohne Gruppendynamik kein Einfluss auf gemeinsame „Werte“, keine „Kultur-Entwicklung“. Mit Gruppendynamik keine konfliktfreien, rein „rationalen“ Organisationsabläufe. Keine Organisationsform ist so rational, lean oder agil durchgestylt, dass nicht bei irgendwem doch mal unordentlich Gefühle aufkommen, wenn persönliche Interessen im Spiel sind. Hier ist Hashtag#Pogofähigkeit (danke für das schöne Wort Gitta Peyn) und ein bewusster Umgang mit Autorität gefragt. Dazu ein andermal mehr.

Wer sich wie ich für Systemtheorie interessiert, tut gut daran, mit dem alten, zugegeben nicht besonders trennscharfen Gruppenbegriff Lewinscher Prägung nicht auch die Gruppendynamik über Bord gehen zu lassen. Zum Glück gibt es Systemiker:innen, wie Fritz B. Simon und Rudi Wimmer, die sich um diesen Unterbau der Gesellschaft und ihrer Organisationen kümmern. Wir bei der DGGO - Deutsche Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsdynamik e.V. tun das übrigens schon immer und mit Anspruch. Schauen Sie doch mal bei uns in Gallien vorbei. ;-)

GRUPPE SYSTEMISCH – GRUPPENDYNAMISCH 1/2

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Das Grüppchen der Gruppendynamiker:innen verhält sich in D zur Community der Systemiker:innen wie dieses gallische Dorf zum römischen Reich. Ich kann nicht davon ausgehen, dass der Zaubertrank unserer Arbeit weiteren Kreisen bekannt ist. Dabei ist er lecker. Es wird deshalb nicht schaden, den Begriff der „Gruppe“, wie er hier und dort verwendet wird, kurz zu erläutern.

GRUPPE SYSTEMISCH – GRUPPENDYNAMISCH 1/2
Für den systemtheoretischen Soziologen Stefan Kühl ist die Gruppe ein Typus sozialer Systeme mit „personenorientierter Kommunikation“ und - in Cliquen - „informaler Erwartungsbildung“. D. h. anders als in der Arbeit, kann man sich in Gruppen ohne anzuecken sehr persönlich, privat anquatschen. Formale Erwartungen (Formale Rollen, Leistungsstandards, Stellenbeschreibung z. B.) sind unnötig. Deshalb ist für ihn die Gruppe ein seltenes, eher parasitäres Phänomen in Organisationen. Kühls Gruppenverständnis ist klassifikatorisch. Historisch ist es wohl plausibel, dass Gruppen überhaupt erst zu einem eigenen Phänomenbereich werden, wenn ihnen moderne Organisationen gegenüberstehen. Mit Vergesellschaftung hat sein Gruppenbegriff deshalb auch nichts zu tun. Er sagt, für dieses Thema habe sich die Rede von Gruppen in der Forschung nicht bewährt.

Für Kurt Lewin und seine Wirkungsgeschichte (also von den Vierzigern bis zu - soweit ich weiß - Heinrich Popitz 2002) ist die Gruppe noch die Urform der Vergesellschaftung, eine menschheitlich universale Funktionsweise des Zusammenlebens. Sie hat kategorialen Status, d. h. wo auch immer Menschen Gesellschaften bilden, ist ihr Zusammenleben „gruppig“. Wir werden nicht solo in die Gesellschaft hinein geboren, wir wachsen in Gruppen auf. Die erste Bezugsgruppe ist in unserem Kulturkreis zumeist die Familie, andere kommen hinzu. Bestimmte Aspekte, wie diese Sozialisation funktioniert, versteht Lewin als universal: z. B. die Ausbildung von Normen, Einstellungen, Valenzen. Aber auch die Ausbildung von Grenzen und einer Gruppenkultur (autoritär, demokratisch, laissez faire…). In diesem Prozess ist „personenbezogene Kommunikation“ im Sinne Kühls nur ein Teilbereich. Das Ganze läuft „naturwüchsig“ ab, mit geringsten Anforderungen an Reflexivität und persönlicher Bezugnahme, in der Regel über Sanktionen bei Normverstößen. Das gesellschaftliche NEIN wirkt formal wie informal zwingend. Übermittelt wird es von Geburt an in Gruppen und ihrer Beziehungsdynamik. „Früh wird gekrümmt, was ein Häkchen werden soll.“ (E. Bloch) Kühls klassifikatorischer Gruppenbegriff ist hier viel enger als der Lewinsche. Kühl sagt: ob es eine Gruppe ist, erkenne ich an diesen und jenen Merkmalen. Lewin sagt: in jedem Interaktionssystem erkenne ich Gruppendynamik und blicke in den Maschinenraum der Gesellschaft. Ich teile in seinen Grundzügen den Lewinschen Begriff. Was das aus meiner Sicht für Organisationen bedeutet, skizziere ich im nächsten Beitrag.

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